Zeit heilt viele Wunden: Hamburger Bahnhofsmission zieht positive Bilanz nach vier Monaten Notpflegestation

v.l. Axel Mangat (Leiter Bahnhofsmission), Nele Rathje und Henrike Lux.
Ein Blick in den Pflegeraum
und in das Lager. Fotos: Nina Schön

Durchschnittlich klingeln täglich sieben Menschen mit einem Notpflegebedarf an der Tür. Die Mitarbeitenden nehmen sich Zeit für Gespräche. Es braucht viel Empathie, um einen vertrauensvollen Zugang zu den Menschen zu finden. Viele Gäste haben Berührungsängste, sind kontaktscheu, schämen sich für ihren körperhygienischen Zustand oder sind es einfach nicht gewohnt, dass man auf sie eingeht.

Das Angebot der Notpflegestation ist vielfältig und hilft ganzheitlich. Eine Wundversorgung im Behandlungsraum und intensive Körperpflege mit Duschassistenz im barrierefreien Bad gehören ebenso zum Portfolio wie Hilfe bei Läusen oder Hautkrankheiten und die Ausstattung mit sauberer Kleidung. Das Team kümmert sich bei Bedarf auch um die Weitervermittlung an die Krankenstube St. Pauli, das Krankenmobil der Caritas oder Schwerpunktpraxen zur medizinischen Versorgung. Medikamente gibt es in der Notpflegestation nicht. Aber Schlafplätze und Essensausgaben werden vermittelt. Die Zusammenarbeit mit Streetworkern versteht sich von selbst.

„Es geht darum, die Menschen umfassend zu beraten und ihnen Perspektiven und Möglichkeiten aufzuzeigen, damit sie Vertrauen gewinnen und die Angst verlieren,“ sagt Axel Mangat, seit 13 Jahren Leiter der Bahnhofsmission. Er zieht eine positive Bilanz nach den ersten vier Monaten Notpflegestation. „Wir wollten einen neuen Zugang zu den Menschen finden, und das ist gelungen. Körperpflege ist etwas sehr intimes. Es ist wichtig, dass auch in der Wohnungslosenhilfe Fachkräfte eingesetzt werden, die wissen, was sie tun und wie sie mit älteren und körperlich eingeschränkten Menschen umgehen müssen.“

Nele Rathje (31) und Henrike Lux (28) sind solche Fachkräfte. Nele ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Henrike ist Rettungssanitäterin. Sie nehmen sich durchschnittlich eine Stunde Zeit für ihre Gäste. Und genau das ist es, was beiden so gefällt: Zeit haben für die Menschen. Nele arbeitet hauptberuflich in der Notaufnahme eines Krankenhauses – „ein extremer Gegensatz,“ wie sie sagt, „vor allem im Hinblick auf die Zeit.“ In der Notaufnahme fallen Obdachlose häufig durch das Raster. Wenn sie alkoholisiert sind, werden sie oft nach einer kurzen Untersuchung wieder auf die Straße geschickt. Das geht auch gar nicht anders, denn der Fokus liegt natürlich auf der Behandlung von medizinischen Notfällen.

Auch in der klassischen ambulanten Pflege sind für jede einzelne Handlung am Menschen nur ein paar Minuten eingeplant. Anders im Notpflegezentrum der Hamburger Bahnhofsmission. „Wir schaffen hier einen sicheren Raum für die Menschen“, sagt Henrike. „Wir hören zu und warten, bis sie von sich aus bereit sind, mit einer Behandlung zu beginnen. Die Menschen können selbstbestimmt entscheiden. Sie sind besonders und brauchen deswegen eine besondere Beratung und Betreuung. Wenn unsere Gäste frisch geduscht, wundversorgt und sauber gekleidet wieder das Haus verlassen, sind sie oft in einer besseren psychischen Verfassung, sie haben ein ganz anderes ‚Mindset‘. Ein Besuch bei einer Behörde oder bei städtischen Unterbringungsmöglichkeiten wird wieder zur Option,“ erklärt Henrike.

Ein Beispiel: Ein Spezialshampoo zur Läusebehandlung muss eine halbe Stunde einwirken - die Duschzeit in sogenannten Tagesaufenthaltsstellen für Obdachlose beträgt, inklusive An- und Ausziehen, 20 Minuten. Bei einem ansteckenden Läusebefall oder einer ausgeprägten körperlichen Verwahrlosung wird den Menschen in den Anlaufstellen oft der Zugang verwehrt oder andere Gäste begegnen ihnen mit Feindseligkeit. Das passiert in der Notpflegestation nicht.

Dort betreuen insgesamt 70 ehrenamtliche und 17 hauptamtliche Mitarbeitende sowie sieben freiwillige Sozialdienst-Leistende im 24-Stunden-Schichtbetrieb Menschen, die Hilfe brauchen. Es gibt zwei weibliche examinierte Pflegekräfte, in Kürze kommt auch noch eine männliche Fachkraft dazu.

In gut zweieinhalb Jahren soll Bilanz gezogen werden in der Notpflegestation. Ist vielleicht eine dauerhafte ärztliche Präsenz notwendig? Können bestimmte Probleme vielleicht mit Hilfe von Telemedizin gelöst werden? Diese und andere mögliche Stolpersteine und Lösungen werden im Laufe der Zeit sichtbar werden. Ein Problem sieht Bahnhofsmissionsleiter Mangat bereits jetzt: „Schwierig ist zum Beispiel der Transport bewegungseingeschränkter Menschen zur Krankenstube nach St. Pauli, soweit kein Notfall vorliegt oder zu einer Schlafunterkunft. Wir können die Menschen schlecht in Taxen setzen oder ihnen das Bus- oder Bahnfahren ohne Ticket empfehlen.“

Am 30. Januar dieses Jahres hatte die Hamburger Bahnhofsmission ihren Neubau am Hauptbahnhof bezogen, der Betrieb startete Anfang April. Initiiert und vorangetrieben haben das Notpflegeangebot der katholische Malteserorden mit seinem Ordenswerk, dem Malteser Hilfsdienst und der evangelische Johanniterorden mit seinem Ordenswerk, der Johanniterunfallhilfe - eine Sternstunde der Ökumene im Herzen Hamburgs. Zur Unterstützung und Förderung haben sie, in Zusammenarbeit mit den hoffnungsorten.hamburg und der Bahnhofsmission, bereits im August 2022 den Verein „Pflegemission am Hauptbahnhof Hamburg“ gegründet. Er finanziert 25 Prozent des Projektes. Den Großteil - also 75 Prozent - übernimmt für die ersten drei Jahre die Deutsche Fernsehlotterie. Das Gebäude der Bahnhofsmission gehört der Deutschen Bahn. 
Text: Nina Schön

Spendenkonto bei der Evangelischen Bank e. G.
Bahnhofsmission Hamburg
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