Den Wert des Lebens schätzen lernen - zehn Jahre Kinder- und Jugendhospizdienst 

Ulrike Schüchler ist Sterbebegleiterin im Kinder- und Jugendhospizdienst des Malteser Hospiz-Zentrums. Foto: privat

Hamburg. „Der erste Besuch ist etwas ganz Besonderes, wenn ich in die Familie komme, den Menschen kennenlerne“, sagt Ulrike Schüchler, die seit vier Jahren sogenannte „lebensverkürzend erkrankte Kinder und Jugendliche“ ehrenamtlich begleitet. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich die grausame Erkenntnis, dass die Betroffenen in absehbarer Zeit sterben werden. Das macht es auch nicht leicht für diejenigen, die wie Ulrike Schüchler die jungen Leute auf ihrem letzten Weg begleiten: „Ich lasse den Menschen in mein Leben hinein, er wird auch ein Teil meines Lebens“, so die 58-Jährige. Sie ist eine von 30 Ehrenamtlichen im Kinder- Jugendhospizdienst, der am 5. Februar seit nunmehr zehn Jahren besteht.

Beim ersten Klingeln sei sie aufgeregt, erzählt Schüchler. Aber dann lerne man sich bei den wöchentlichen Besuchen immer besser kennen, der Umgang werde immer vertrauter. „Man erzählt sich Geheimnisse, die man sonst niemanden anvertrauen würde“, erläutert die Grafikerin und Künstlerin. Das sei eine sehr enge Beziehung, die im Laufe der Zeit wachse. „Ich habe den Tod meines Schwiegervaters eng miterlebt. Dabei habe ich gemerkt, dass ich mit der Endlichkeit umgehen kann. Ich dachte mir: Das würde ich gern ehrenamtlich weiter vertiefen“, sagt sie. Vor sechs Jahren hat die in Poppenbüttel lebende Hamburgerin bei den Maltesern an einem Kurs für angehende Sterbebegleiter teilgenommen und sich ein Jahr später in der Kinder- und Jugendhospizarbeit spezialisiert.

Seit zweieinhalb Jahren begleitet Ulrike Schüchler inzwischen eine junge Frau aus einem muslimischen Kulturkreis. Die 20-Jährige könne kaum noch essen und sich sehr eingeschränkt bewegen. Aber bei der Sterbebegleitung dreht sich nicht alles ums Sterben. „Wir haben viele fröhliche Gespräche, da steckt viel Sehnsucht in ihr, noch mal kreativ zu sein“, sagt Schüchler. Sie sieht es als ihre Aufgabe, zu schauen, wie sie diesen Wunsch in die Begleitung einbringen kann: „Ich kann Impulse geben und die werden von ihr manchmal aufgegriffen und manchmal nicht, wenn die Kraft fehlt.“ Kurz mit dem E-Rolli nach draußen gehen, bereite der jungen Frau große Anstrengungen, aber die beiden erzählten sich Geschichten, tauschten sich über aktuelle Themen auf Social-Media-Kanälen aus oder malten und zeichneten gern gemeinsam. Bis zum ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hatte Ulrike Schüchler feste Wochentage für ihre Besuche. Jetzt ist der Austausch auch kurzfristig per Videochat möglich. „So ist trotzdem eine schöne Nähe entstanden.“

„Das könnte ich nicht“ hört Ulrike Schüchler oft, wenn sie von ihrem Ehrenamt erzählt. „Das ist gar nicht so schwer, viele Leute könnten das machen. Es ist wichtig, sich Sterben, Tod, Trauer und der Angst vor der Endlichkeit innerlich zu stellen, sonst könnte man das nicht aushalten. Und das ins eigene Leben integrieren. Dadurch kann ich den Wert des Lebens schätzen lernen, das merke ich immer wieder. Das ist eine Bereicherung, ich lasse Sterben und Verlust in mein Leben.“ Ulrike Schüchler wird bei ihrem Ehrenamt immer wieder mit sehr harten Lebenssituationen konfrontiert. „Das Verhältnis ist eng und als Sterbebegleiterin bekomme ich viel mit. Aber ich erlebe auch eine Tiefe, Intensität, Ehrlichkeit, die ich nicht missen möchte. Das ist ganz nah am Leben dran.“ Das könne für beide Seiten auch sehr bereichernd sein, ist sie sich sicher. „Ich bin sehr froh, denn ich habe das Gefühl, da findet etwas sehr Gutes statt, was ich gerne mache, auch wenn es nicht immer einfach ist.“ Wenn sie etwas erleben würde, was sie nicht losließe, könne sie sich jederzeit an die hauptamtlichen Koordinatorinnen wenden. Außerdem gebe es monatlich Supervision für alle Hospiz- und Trauerbegleiter „Sterbebegleitung ist ein schweres Thema und eine schwere Situation, aber die Kinder wollen leben und alles bis zum Schluss auskosten, so viel Leben wie möglich ins Leben reinbekommen. Gemeinsam intensiv zu leben und dabei zu sein, hat etwas sehr Schönes.“

 


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