Seite an Seite im Krisengebiet

Zerstörung in Bad Neuenahr. Foto: Ann-Kathrin Reumann
Matthias Heinlein und Bjarne Luckow aus Flensburg. Foto: Karen Hackbarth
Helferinnen und Helfer den Kriseninterventionsteam aus Norderstedt. Foto: Georg Geitzhaus
Die Malteser Kiel organisierten im Hochwasser-Gebiet eine Tetanus-Impfstation für Hilfskräfte. Foto: Malteser Kiel

Sie und ihr Kollege Tom Westphal hatten an diesem Tag zudem noch einen lebensrettenden Einsatz. „Ein Feuerwehrmann hyperventilierte so stark, dass wir den Rettungsdienst rufen mussten. Dieser konnte natürlich nicht so schnell da sein, wie normalerweise. Es dauerte ewige 30 Minuten. In der Zwischenzeit habe ich versucht, den Feuerwehrmann zu beruhigen, was mir anfangs nicht gelang. Er hyperventilierte so stark, dass ich mit meinen Worten nicht zu ihm durchkam. Ich suchte nach einem positiven Trigger und erinnerte mich daran, dass er mir vorher von seiner Bachelorarbeit erzählt hatte. Ich fragte ihn also nach dem Thema seiner Arbeit. Er fokussierte sich darauf und langsam wurde er ruhiger, er konnte wieder ein- und ausatmen und wir überbrückten gemeinsam die Zeit, bis der Rettungswagen eintraf.“
Die Neumünsteranerin sei froh gewesen, für solche Situationen ausgebildet zu sein und auch stolz auf sich und ihren Kollegen Tom Westphal, mit dem sie sich in der Situation blind verstanden habe.

Auch Matthias Heinlein und Bjarne Luckow aus Flensburg waren in Bad Neuenahr-Ahrweiler für die medizinische Erstversorgung von Feuerwehrleuten verantwortlich. „Wir waren täglich einem bestimmten Feuerwehrzug zugeordnet und haben Scheuerverletzungen an Händen und Füßen behandelt, Augen und Gesichter von Matsch befreit, der möglicherweise schädliche Stoffe enthalten könnte. Einige Feuerwehrleute hatten zudem Probleme mit dem Blutdruck, der Atmung oder zeigten Anzeichen nervöser Unruhezustände.“

Helfen ohne Schutzkleidung

Es habe eine beeindruckende Solidarität gegeben, viele Privatpersonen hätten helfen wollen, so Matthias Heinlein. Das Problem dabei sei jedoch, dass sie, im Gegensatz zur Feuerwehr, ohne Schutzausrüstung unterwegs gewesen seien. „Einige haben sich in den Kellern an Metallverschlägen, die durch die Zerstörung auch scharfe Kanten hatten, die Beine aufgeschnitten. Die haben wir dann verbunden. Durchatmen und Ausruhen war dann für sie aber keine Option, die Leute wollten trotz Verletzung weiterarbeiten.“

Aufräumen über die Erschöpfung hinaus

„Nach dem Ackern kommt das Nachdenken,“ sagt Elke Braun, Leiterin des Kriseninterventionsteams (KIT) der Malteser in Norderstedt. Mit einem Team von KIT-Helfern aus Norderstedt, Kiel und Lübeck war sie im Kreis Euskirchen im Einsatz. „Wir zeigen uns dort, wo die Menschen sind, gehen durch die Straßen und zu den zentralen Stellen, um zu signalisieren ‚Wir sind für euch da‘“, erklärt sie. „Einige Betroffene wollten uns ihre Häuser und die Zerstörung im Inneren zeigen. Wir versuchen aber immer, sie aus den Häusern heraus zu holen und gehen mit ihnen an die frische Luft, um tief durchzuatmen.“
Die Einsatzkräfte geben Menschen, die akut in Krisensituationen geraten sind, Halt und Stütze. „Wir leihen ihnen unser Ohr,“ nennt es Elke Braun. „Wir erklären den Anwohnern, dass es normal ist, dass sie gerade schlecht schlafen, stark träumen, keinen Appetit verspüren oder aufschrecken, wenn sie eine Sirene hören. Dies sind normale Reaktionen auf unnormale Ereignisse.“ Diese typischen Reaktionen müssten jedoch nach zwei bis vier Wochen zurückgehen, sei dies nicht so, bräuchten Betroffene ärztliche Hilfe, so die Norderstedterin.

"Die Menschen wissen nicht, wie es weitergehen soll"

Das Aufräumen bis zur Erschöpfung sei für viele Menschen ein Weg, das Erlebte zu verdrängen, sagt Elke Braun. In der zweiten Einsatzphase im August habe sie eine starke Frustration und enorme Existenzängste erlebt. Den Betroffenen werde nun erst richtig klar, dass sie alles verloren haben. „Sie sind nun in einer anderen Phase der Verarbeitung. Anfangs stand das Anpacken im Mittelpunkt, jetzt realisieren sie, dass sie nicht versichert sind oder erfahren, dass man ihr Haus nicht wiederaufbauen, sondern nur noch die Reste abreißen kann. Die Menschen wissen nicht, wie es weitergehen soll.“

Guter Zusammenhalt untereinander

Auch Malteser aus Ahrensburg, Hamburg und Kiel waren angefordert worden, um im Hochwassergebiet Hilfe zu leisten. Sie gaben Trinkwasser und Desinfektionsmittel an die Bevölkerung heraus, sicherten andere Einsatzkräfte sanitätsdienstlich ab und leisten auf diese Weise Hilfe für Helferinnen und Helfer der Feuerwehren, des THW und anderer Organisationen. Sie erkundeten zerstörte und beschädigte Gebiete, um z.B. den Bedarf an medizinscher Versorgung und Medikamenten festzustellen. Außerdem kam es zu vielen spontanen Einsätzen, wie dem Verteilen von Hilfsgütern.
Dabei sei es egal gewesen, welches Logo auf welcher Jacke war, so Niclas Thiessen, der den Einsatz aller Hamburger Einsatzkräfte leitete. Alle Hamburger Hilfsorganisationen hätten gemeinsam angepackt. Malteser, Johanniter, ASB- und DRK-Kräfte waren zusammen in das Krisengebiet gereist.

Malteser Kiel organisierten Tetanus-Impfungen im Flutgebiet

Da Hilfeleistungen im Hochwassergebiet auch unsichtbare Gefahren bergen, haben die beiden Kieler Helfer Diözesanarzt Björn-Thore Hansen und Mona Malek (im Hauptberuf Apothekerin) kurzfristig ein Tetanus-Impfzentrum im Bereitstellungsraum Windhagen in Rheinland-Pfalz organisiert. Innerhalb nur eines Tages hat Mona Malek den Aufbau des Impfzentrums und die Versorgung mit Impfstoff geplant. Björn-Thore Hansen war für die Aufklärungsgespräche verantwortlich, den Großteil der Impfungen führten das medizinische Fachpersonal des DRK und die Berufsfeuerwehr Lübeck durch.

Hilfe für die Helfer

Eine so verheerende Umweltkatastrophe stellte selbst für unsere erfahrenen Einsatzkräfte eine nie dagewesene Situation dar. Die Tätigkeiten, die unsere Ehrenamtlichen ausgeführt haben, mögen für sie Routine gewesen sein, die Umgebung, in der sie sich befanden, hat viele jedoch stark bewegt, sie haben menschliche Schicksale hautnah erlebt.
Damit unsere Helferinnen und Helfer diese Eindrücke gut verarbeiten können, bieten die Malteser Hilfe an. „Unsere Einsatzkräfte hatten und haben jederzeit die Möglichkeit, die Helfernachsorge in Anspruch zu nehmen. Eine wichtige Funktion bei der Bearbeitung des Erlebten spielen aber auch die gute Malteser Gemeinschaft, Freunde und Familien“, sagt Eike Schulz, Diözesanreferent für Notfallvorsorge.

Hilfe für die Opfer des Hochwassers

Wie setzen die Malteser Spenden ein? Wer ist Teil von "Aktion Deutschland hilft"? Was passiert mit Sachspenden? Weiterführende und stets aktuelle Informationen bietet die zentrale Seite zur Hochwasser-Hilfe der Malteser bundesweit: https://www.malteser.de/spenden-helfen/unsere-hilfsprojekte/deutschland/hochwasserhilfe.html


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